Stellungnahme der Initative 9. November Bünde zu der Straßenumbenennung

Hier eine interessante Stellungnahme der Initiative 9. November Bünde, der wir uns anschließen möchten.

Paul von Lettow-Vorbeck Bana anakata Schanda – Der Herr, der unser Leichentuch schneidert

In den vergangenen Wochen waren Straßennamen mit NS-Bezug in Bünde einmal mehr Thema in den lokalen Medien und den Gremien der Stadt. Insbesondere die Lettow-Vorbeck-Straße steht dabei im Zentrum der Auseinandersetzung.                                                                                                             Lettow-Vorbeck, Täter im Völkermord an den Herero und Nama, im 1. Weltkrieg zum Generalmajor befördert und 1939 von Hitler persönlich zum General ernannt, nach dem 2. Weltkrieg u.a. Befürworter des Apartheid-Regimes in Südafrika(i), eignet sich ganz offensichtlich nicht für eine Ehrung durch eine nach ihm benannte Straße. Dass daher eine Umbenennung geboten ist, sollte eigentlich außer Frage stehen; eine ausführliche Auseinandersetzung bietet z.B. das Gutachten von Heike Kempe für die Stadt Radolfzell(ii), in dem auch Bünde Erwähnung findet.
Dass eine Koalition aus CDU, FDP und UWG sich dem hartnäckig verweigert, ist unwürdig, steht aber in einer langen Traditionslinie der hiesigen Lokalpolitik. Denn auch die vielfach in durchschaubarer Absicht vorgetragene „Frage“, warum diese zweifelhafte Ehrung „ausgerechnet jetzt“ nach „so langer Zeit“ angegriffen werde, zeugt von Unkenntnis, die fast mutwillig wirkt.
Bereits 1965 beantragte die SPD eine Umbenennung, die von CDU und FDP abgelehnt wurde(iii). Die nächste Forderung nach einer Umbenennung der Lettow-Vorbeck- und weiterer Straßen erhob 1979 der „Arbeitskreis für Demokratie gegen Neonazismus“ (iv). Zu Beginn der 90er Jahre machte eine „wilde Straßenumbenennung“ auf belastete Straßennamen aufmerksam, und auch zu Beginn der 2000er Jahre waren die Straßennamen ein Thema(v). Das Gerede vom „warum erst jetzt“ und – schlimmer – von der „Notwendigkeit, dieses Kapitel nun endlich ruhen zu lassen“ ist heuchlerisch angesichts der Tatsache, dass seit Jahrzehnten auf die Notwendigkeit einer Umbenennung hingewiesen wird und diese von den immer gleichen Kräften verhindert wurde.

 

Doch Bünde ist in Bezug auf die heutige Lettow-Vorbeck-Straße auch ein Sonderfall. Wie in vielen anderen Städten wurde auch in Bünde die Lettow-Vorbeck-Straße während der NS-Zeit benannt. Am 13.05.1937 wurde die damalige Heidestraße zur Lettow-Vorbeck-Straße(vi). Im Rahmen einer größeren Umbenennungsaktion erfolgte am 29.11.1946 die Rückbenennung in Heidestraße(vii). Gleichzeitig wurde aber die damalige Klinkenkolkstraße in Lettow-Vorbeck-Straße umbenannt. Dies geschah auf Initiative von Edwin Kranz, der an der Klinkenkolkstraße eine durch ihn „arisierte“ Zigarettenkistenfabrik, ehemals Rodenberg & Rosenbaum, besaß(viii). Kranz, ein überzeugter Nazi(ix), hatte diesen Wunsch bereits 1938 geäußert, erfüllt wurde er ihm 1946!
Es ist keine Bünder Besonderheit, dass mit der Beseitigung militaristischer und faschistischer Gedenkstätten und Straßennamen eher schludrig umgegangen wurde. Davon zeugen nicht nur die weiteren leider heute noch erhaltenen Lettow-Vorbeck-Straßen und Plätze. Eine Benennung nach der Niederlage des Faschismus dürfte in Deutschland jedoch einzigartig sein.
Dieser nach wie vor unfassbare Vorgang ist auch aus einem weiteren Grund für die Diskussion von Bedeutung, der unseres Wissens nach bisher noch keinerlei Beachtung gefunden hat.
Die Umbenennung der Klinkenkolkstraße am 29.11.1946 verstieß eindeutig gegen die Kontrollratsdirektive 30(x) vom 13.5.1946, veröffentlicht und damit in Kraft getreten am 31.05.1946(xi). In der Direktive heißt es:
Von dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Direktive an ist untersagt und als gesetzwidrig erklärt die Planung, der Entwurf, die Errichtung, die Aufstellung und der Anschlag oder die sonstige Zurschaustellung von Gedenksteinen, Denkmälern, Plakaten, Statuen, Bauwerken, Straßen- oder Landstraßenschildern, Wahrzeichen, Gedenktafeln oder Abzeichen, die darauf abzielen, die deutsche militärische Tradition zu bewahren und lebendig zu erhalten, den Militarismus wachzurufen oder die Erinnerung an die nationalsozialistische Partei aufrechtzuerhalten, oder ihrem Wesen nach in der Verherrlichung von kriegerischen Ereignissen bestehen“ (Hervorhebung durch uns).
Und weiter: „Die Ausdrücke ‚militärisch‘ und ‚Militarismus‘ sowie der Ausdruck „kriegerische Ereignisse“ im Sinne dieser Direktive beziehen sich auf Kriegshandlungen nach dem 1. August 1914 zu Lande, zu Wasser oder in der Luft und auf Personen, Organisationen und Einrichtungen, die mit diesen Handlungen in unmittelbarem Zusammenhange stehen“ (Hervorhebung durch uns).
Dies trifft auf Lettow-Vorbeck ohne Frage zu(xii). Das Innenministerium NRW hielt beispielsweise auch eine Entfernung von Hindenburgstraßen aufgrund der Direktive für zwingend(xiii).
Neben einer Reihe weiterer belasteter Straßennamen gibt es in Bünde also eine Straße, die
– nach der Niederlage des Faschismus
– rechtswidrig
– auf Wunsch eines Nazis und Profiteurs der Shoah
zu Ehren eines
– Täters im Völkermord an den Herero und Nama
– Generals von Hitlers Gnaden
– lebenslangen Rassisten
benannt wurde.
All diejenigen, die diesen unerträglichen Zustand aufrecht erhalten wollen, können und sollen wissen, in welche Traditionslinie sie sich damit stellen.

Abb. 1
i „Die viel diskutierte ‚Apartheid‘ ist der ehrliche Versuch, die Interessen der rassisch verschiedenen Gruppen soweit in Einklang zu bringen, daß beide Teile praktisch zufrieden sein können.“, Paul von Lettow-Vorbeck, Mein Leben, Biberach 1957, S. 252
iii Vgl. Barbara Frey, Darf der General bleiben, in: 97. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg, Bielefeld 2012, S. 199 f.
iv Ebd.
v Abb. 1, vmtl. 2002, Screenshot aus einem privaten Video.
vii Ebd.